Überlegungen zur Beziehung von Bewusstsein und Tod

1. – Zum einen stellt der eigene Tod ein Wissen dar, von dem das Bewusstsein eigentlich nichts wissen will, weil es meint, den Gedanken einer „restlosen Auflösung“ seiner selbst nicht ertragen zu können. Zum anderen wird jedes einzelne sterbliche Wesen mit einer es überlebenden „Gemeinschaft“ – Familie, Generation, Geschlecht etc. – konfrontiert. Hier liegt eine potenzielle Konfliktsituation vor, die sich in der Überlieferung etwa als Opfer und Heldentum manifestiert: Das eigene Leben wird für die Familie oder den Stamm, das Volk oder die Nation aufgegeben („aufgeopfert“). In diesem Widerstreit zwischen „Selbstlosigkeit“ und „Egoismus“, der in der modernen Gesellschaft mitunter psychotische Züge annimmt, können Opfertod und Selbstmord als persönliche Extreme angesehen werden, die mit den unzähligen Massakern und Morden der Menschheitsgeschichte zu vergleichen wären. Man ist versucht, in diesem Zusammenhang einen „Todestrieb“ oder „Todessog“ (1) anzunehmen.

2. – Der beruhigende Gedanke, dass der Tod eine „Erlösung“ sei, beschwört das alte Bild des „Tränentals“ herauf, in dem menschliches Leben als Leid (Pathos) und Erleiden (Passivität) dargestellt wird. Gleichzeitig verklärt sich darin die scheinbar unerträgliche Vorstellung einer „restlosen Auflösung“ des eigenen Selbst im Glauben an ein Leben nach dem Tod, etwa durch die Annahme einer „unsterblichen Seele“, die jedoch als vom Körper getrennt vorgestellt werden muss, da dieser einer nicht zu leugnenden organischen Verwesung (« corruption organique ») unterliegt. Nun sind beide Termini – Leib und Seele bzw. Körper und Geist – insofern künstliche“ Begriffe, als sie eine in der Natur eigentlich nicht gegebene Trennung voraussetzen (2). Bezeichnend für diesen Zustand ist, dass es kein eigenes Wort für die naturgegebene Einheit von „Körper“ und „Bewusstsein“ im lebendigen Organismus gibt (3).

3. – Man ist geneigt, Bewusstsein auf zwei verschiedenen Ebenen – individuell und artspezifisch – zu betrachten, denen eine von Freud als „Triebleben“ beschriebene Dimension des „Unbewussten“ (4) entspricht, die im einzelnen Lebewesen als Selbsterhaltungs-, in der Gattung als Arterhaltungstrieb nachweisbar ist und somit „Körperlichkeit“ bzw. „Verkörperung“ (« incarnation ») des Bewusstseins voraussetzt. Dazu ist zu bemerken, dass auch „Arten“ vom „Aussterben“ bedroht sind und der vor allem bei Säugern und Vögeln – so genannten Homoiothermen oder „Warmblütern“ – beobachtbare „Brutpflegeinstinkt“ dieser Bedrohung entgegenwirkt. Wie es auch bei uns Menschen von Natur aus der Fall ist, wird dabei das eigene Leben zugunsten der „Sorge“ um den „Nachwuchs“ zurückgestellt. Weiterlesen

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Nachtrag zu Wolfgang Kaempfers Zeittheorie

Folgende Überlegungen können als „Nachtrag“ zu Wolfgang Kaempfers Zeittheorie und der dort festgestellten Wechselwirkung zwischen zwei als fortschreitend-irreversibel und zyklisch-wiederkehrend definierten Zeitverläufen gelesen werden. – Gleichzeitig aber versteht sich das hier skizzierte Modell als ein neuer Ansatz, der auch auf anderen und eigenständigen Gedanken zum Problem der Zeit beruht. 
 

1. – Problemstellung
 

1.1. –  Wolfgang Kaempfers Modell zweier verschiedener Verläufe der Zeit und ihrer Synchronisierung bzw. Desynchonisation („Bruch“) wird im Folgenden auf Lebewesen beschränkt, die über eine „Eigenzeit“ verfügen, deren Verlauf im Sinne eines nicht umkehrbaren Reife- und Altersprozesses irreversibel-endlich ist. – Als vom Modell geforderten Gegenpart nehmen wir eine „Allgemeinzeit“ an, die wir als externen „Zeitgeber“ definieren, über deren Endlich- oder „Unendlichkeit“ wir nicht entscheiden können, die jedoch die Eigenzeiten der verschiedensten Lebensformen dieser Erde überdauert und synchronisiert. Diese Funktion erfordert einen zyklisch-wiederkehrenden Verlauf, der ebenfalls in der Eigenzeit der Lebewesen beobachtbar ist und dort im Dienste der „Selbsterhaltung“ der Organismen steht. – Die Eigenzeit verläuft also einerseits auf einer unumkehrbaren Linie, die über Wachstum, Reife und Alter mit dem Tod der einzelnen Lebewesen endet, andrerseits aber in Zyklen zur Erhaltung der Organismen, die ihre – als „wesentlicher Mangel“ interpretierten – periodisch wiederkehrenden Bedürfnisse zeitlebens befriedigen müssen. Dazu haben sich die Lebewesen einer anderen Zeit anzupassen, welche auch die zyklische Wiederkehr der „Befriedigungsobjekte“ regelt, indem sie alle in einem gegebenen System wirksamen, einander bedingenden Eigenzeiten synchronisiert.

1.2.Wenn man die Bedürfnisse der komplexeren auf unserer Erde lebenden Wesen untersucht, stößt man – neben den berühmt-berüchtigten Zyklen des Fressens und Gefressenwerdens – auch auf eine andere Art von „Bedürfnisbefriedigung“, da die große Mehrzahl der Pflanzen ausschließlich von anorganischen Elementen – wie Licht und Wärme, Kohlendioxid und Wasser – lebt, deren Verfügbarkeit von einem zyklisch-wiederkehrenden Zeitverlauf abhängt, der hauptsächlich von den Bewegungen der Erde um sich selbst und um unsere Sonne, sowie den damit zusammenhängenden klimatischen und saisonalen Bedingungen gesteuert wird. Diese Beobachtung spricht dafür, dass es sich hier um einen lebensnotwendigen „Zeitgeber“ handelt, da auch alle anderen komplexen Lebensformen mittel- oder unmittelbar von den Zyklen der Pflanzenwelt abhängen und sich darüber hinaus ebenfalls auf die durch den Rhythmus der Tage, Nächte und Jahreszeiten bedingten Temperatur- und Lichtverhältnisse, und nicht zuletzt auf die Verfügbarkeit des Trinkwasssers einstellen müssen.Wolfgang Kaempfers Modell eines  „Zeitgetriebes“ und der von ihm postulierte „Bruch“ sind nur verständlich, wenn wir diese „natürliche“ mit einer spezifisch „menschlichen“ Zeit vergleichen. – Es ist bekannt, dass der Mensch sich nicht mehr ausschließlich an die Natur, sondern diese – als seine so genannte „Umwelt“ – im Zuge der technologischen „Errungenschaften“ zunehmend an die eigenen – realen oder vermeintlichen – Bedürfnisse anpasst. Nur hört er dadurch keineswegs auf, ein Naturwesen zu sein, wenngleich bestimmte Entwicklungen auch auf die Emergenz eines mehr und mehr „künstlichen“ Geschöpfes hinzudeuten scheinen.Wolfgang Kaempfer (1991) nennt die beiden antagonistischen Zeitverläufe „Geschichts“- und „Verkehrszeit“, erstere auf Veränderung, letztere auf Erhaltung eines gegebenen Systems zielend. Darüber hinaus merkt er einen historisch datierbaren „Geschichtsstillstand“ an, dem er in seinem Modell zweier sich einander bedingenden Geschwindigkeitsvariablen eine „rasende Verkehrszeit“ gegenüberstellt. Somit wäre die menschliche Zivilisation, wie auch andere Autoren behaupten, in eine „posthistorische“ (bzw. „postmoderne“) Phase eingetreten, in der keine Veränderung mehr möglich ist und die okzidentalisierte Menschheit sich den grenzenlos beschleunigten Kreisen ihres kollektiven Selbsterhaltungstriebes ausgesetzt sieht. 

1.3. – Aus unserer Sicht ist der in der Tat beobachtbare, so genannte „Bruch des Zeitgetriebes“ im Sinne einer grundlegenden Desynchronisierung nicht systemimmanent zu erklären, sondern beruht auf der Diskrepanz zwischen dem schon von Descartes (1637) formulierten menschlichen Herrschaftsanspruch über die Natur und ihrer „realen Übermacht“ (Adorno & Horkheimer 1947). Dass die technologischen und zivilisatorischen „Errungenschaften“ uns nicht unerheblich von den rauen natürlichen Bedingungen „befreien“, bedeutet keineswegs, dass wir ihnen nicht immer wieder – individuell oder kollektiv, regional oder planetarisch – ausgeliefert sind, nicht zuletzt durch unsere physiologische Konstitution als sterbliche zur Selbst- und Arterhaltung genötigte Lebewesen. Und dass die „Bedürfnisbefriedigung“ nunmehr über globale Netzwerke und Verteilungsprozesse läuft, die vielleicht das schöne Ziel verfolgen, einmal alle menschliche Not zu tilgen, bedeutet nicht, dass dies schon geschehen oder überhaupt realisierbar ist: Angesichts der Ungleichheit der Handelsbeziehungen („Terms of Trade„) und nicht enden wollenden kriegerischen Aggressionen, sowie der flächendeckenden Zerstörung der natürlichen „Ressourcen“ und „Biodiversität“ könnte man fast glauben, dass unser kollektiver „Selbsterhaltungstrieb“ schon in sein Gegenteil umgeschlagen ist.Aus diesen Überlegungen folgt, dass der beobachtete und zu erklärende „Bruch“ auf einer Verselbständigung („Selbstläufigkeit“) der Zeit des Menschen“ (Wolfgang Kaempfer 1994) beruht, die nicht mehr durch einen „natürlichen“ Zeitgeber gesteuert wird. Somit sind auch die hier erkennbaren Desynchronisationsphänomene in erster Linie Auswirkungen des fundamentalen „Bruchs“ zwischen menschlicher und natürlicher Zeit. Denn obwohl die menschliche „Uhrzeit“ nunmehr als systemimmanenter Zeitgeber fungiert, hängt unsere Eigenzeit, wie auch die der verschiedensten Lebewesen, die neben uns diese Erde bevölkern, weiterhin von einem  externen Zeitgeber ab. Da sich jedoch die „Zeit des Menschen“ im selben Grade verselbständigt, als wir uns von den natürlichen Bedingungen zu befreien suchen, ist auch der Zeitgeber der Natur für unsere planetarischen Aktivitäten nicht mehr maßgebend, was nur zu einer fortschreitenden Desynchronisation der menschlichen und natürlichen Uhren führen kann, deren teils katastrophale Konsequenzen schon heute als Anzeichen des gescheiterten menschlichen Alleinherrschaftsanspruchs gedeutet werden dürfen.
 

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Anmerkungen zu Wolfgang Kaempfers Zeittheorie

Stefan Kaempfer
Anmerkungen zu Wolfgang Kaempfers Zeittheorie

Wolfgang Kaempfers Zeittheorie zeichnet sich dadurch aus, dass unser Autor die beiden bekannten Verläufe der Zeit – zyklisch (wiederkehrend) und linear (irreversibel) – miteinander in Verbindung bringt und „zusammendenkt“: Die Kopplung der beiden Zeitverläufe bezeichnet er als „Zeitgetriebe“, welches die Interdependenz seiner Komponenten – insbesondere als Geschwindigkeitsvariablen – voraussetzt. Darüber hinaus nimmt er als rezentes historisches Ereignis einen „Bruch des Zeitgetriebes“ an, durch den sich der zyklische Vektor, den er auch „Verkehrszeit“ [tr] nennt, rasant beschleunigt, während der irreversible, „Geschichtszeit“ [ti] genannte Vektor stagniert (1).

Eine in diesem Zusammenhang bedeutende und aufschlussreiche Einsicht unseres Autors wird in seinem Aufsatz Überlegungen zur Struktur der Zeit in manisch-depressiven Zuständen (2) vorgestellt. Dort vergleicht er zwei psychiatrische Krankheitsbilder – Manie und Depression – die sowohl unabhängig voneinander auftreten, als auch in der so genannten „bipolaren Störung“ (3) ineinander übergehen können. Wolfgang Kaempfer bezeichnet zu Recht die depressive Zeiterfahrung als Stillstand oder Stagnation und diejenige der Manie als ein „Rasen“ der Zeit. Wenn also ein „Bruch des Zeitgetriebes“ aufgezeigt werden kann, so bestimmt am Leitfaden eben dieses Krankheitsbildes, dessen Erscheinen in der Bevölkerung der Westlichen Welt stetig zunimmt. Es könnte daraus folgen, dass der Bruch in beiden Fällen die „synthetische“ Zeiterfahrung überhaupt aufhebt, denn einerseits stagniert die Zeit, sodass keine Zukunft mehr vorgestellt werden oder gar stattfinden kann, und andrerseits beschleunigt sie sich derart, dass keine Gegenwart, kein Stehenbleiben mehr möglich ist. Auch zeigt das ex negativo, dass das „normale“ Bewusstsein eine Art Balanceakt durchführen muss, um beide Zeitvektoren zu synchronisieren. Das legt die Vermutung nahe, dass ein ausgeglichenes Zusammenspiel beider Zeiterfahrungen für die Synthese des Bewusstseins überhaupt konstitutiv sein könnte.

Nun betrachtet unser Autor – ebenfalls schematisch ausgedrückt – den wiederkehrenden Zeitvektor [tr] als ein „systemerhaltendes“ Moment, während der irreversible Vektor [ti] auf Veränderung drängt. Es leuchtet ein, dass zyklisch verlaufende, periodisch wiederkehrende Phänomene vornehmlich dem Erhalt von lebendigen Systemen dienen, wie es unter anderem die zahlreichen Stoffwechselzyklen hochkomplexer Organismen nahelegen. Auf der anderen Seite wäre der irreversible Zeitvektor mit dem Wachstum, Altern und Tod der Lebewesen in Verbindung zu bringen, und gerade das uns Menschen eigene „Todesbewusstsein“ könnte hier eine ganz besondere Rolle spielen, die bei „kulturschaffenden“ oder „zivilisationsstiftenden“ Wesen nur allzu oft mit „Verneinung“ „Verdrängung“ oder „Sublimierung“ (Freud) einhergeht (4). Weiterlesen

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Über die Träume (2009)

Stefan Kaempfer
Über die Träume
(ein Fragment, Berlin 2009)

 Vorbemerkung

Traumdeutung ist nicht der passende Begriff, um den Versuch zu beschreiben, sich mit den Aussagen oder „Botschaften“ der Träume auseinanderzusetzen und so eine eventuell heilende Wirkung zu erzielen; es sollte zuerst empfohlen werden, ein Traumtagebuch zu führen, wobei folgendes zu berücksichtigen wäre:

  1. Der Traum sollte möglichst bald nach dem Erwachen so aufgeschrieben werden, wie er sich sprachlich darbietet; dabei sind u. a. Eigennamen eine ganz besondere Bedeutung zuzumessen.

  2. Nach dem möglichst präzisen und sachlichen („beschreibenden“) Traumbericht sollten in einem eigenen Abschnitt „Einfälle“ („freie Assoziationen“, in Freud, Die Traumdeutung, 1900) und „Material“ aus dem wachen Leben und der persönlichen Geschichte des Träumers notiert werden, die der Beschäftigung mit dem aufgezeichneten („festgeschriebenen“) Traum entspringen, wie und in welcher Reihenfolge sie sich auch präsentieren mögen.

  3. Eine Auslegung oder „Deutung“ sollte in dieser Phase nicht oder höchstens ansatzweise versucht werden: In der Tat können nur Traumserien aus der Distanz her grundlegend analysiert werden; hinzu kommt, dass Interpretationen ad hoc eher einengen als „öffnen“, und gerade die Öffnung der Traumsphäre auf Möglichkeiten – auf die „Virtualität“ – der Existenz ist interessant und sollte nicht durch voreilige „Schlussfolgerungen“ („conclusions“) und so genannten Realismus wieder verbaut werden.

 

1. – Neurobiologische Befunde

Der Traum, wie wir ihn hier verstehen und beschreiben wollen, tritt im physiologisch eingehend beschriebenen Zustand des Schlafes auf. Es handelt sich dabei um einen reversiblen Prozess, der in Perioden abläuft, auf die im zirkadianen Rhythmus regelmäßig ein Erwachen erfolgt. Seit der Entdeckung des so genannten REM-Schlafes1 (Aserinsky & Kleitman 1953) und seinem wahrscheinlichen Bezug zum Phänomen des Traumes (Kleitman & Dement 1957) ist bekannt, dass im Schlaf verschiedenen „Stadien“ oder besser Phasen durchlaufen werden. Die von Rechtschaffen & Kales (1968) erstellte Schlafskala ist heute mit gewissen Vorbehalten weitgehend akzeptiert. Diese Autoren unterscheiden sog. Leichtschlaf (LS, I & II) von Tiefschlaf (TS, III & IV) und REM-Schlaf, der seit Jouvet (1959) auch Paradoxer Schlaf (PS) aus zwei wichtigen Gründen genannt wird: Zum einen ist der Zustand des Gehirns im PS dem Wachen nahe, zum anderen aber ist der Schlafende im PS schwerer zu wecken als z.B. im TS, teils auf Grund der mit dem PS verbunden posturalen Atonie (PA), teils wegen der im PS erhöhten Wahrnehmungsschwelle (WS+): Der Körper (die Skelettmuskulatur) befindet sich also in einem Zustand der Lähmung, und bestimmte Wahrnehmungselemente gelangen nicht wie im Wachen ins Großhirn (Neocortex, kurz: „Cortex“), bzw. werden von diesem nicht registriert, wobei aber eine vom Stammhirn ausgehende Stimulierung des Cortex (sog. PGO-Wellen2) auf eine dem wachen oder vorwachen Gehirn ähnliche Aktivität schließen lässt (z. B. mit β-, manchmal sogar mit α-Wellen-Ereignissen). Dieser Zustand ist wahrlich paradox, und seine Funktion – bzw. sein entwicklungsgeschichtlicher Vorteil – ist noch nicht hinreichend geklärt. Nun wäre es voreilig von einer solchen PS-Funktion auf die Funktion der Träume schließen zu wollen, da auch noch nicht geklärt ist, ob PS und „Traumschlaf“ als zwei Begriffe oder Aspekte ein– und desselben Phänomens zu verstehen sind. Von der zeitgenössischen Forschung wird allerdings weitgehend angenommen, dass wir im PS im eigentlichen Sinne „träumen“, obgleich bestimmte Befunde auch Träume in anderen Schlafphasen nachweisen (s.u.).

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Maschinenmensch (2007)

Man befürchtete es schon seit geraumer Zeit. Aber es verspricht doch etwas anders zu werden, als es Orwell oder Huxley schildern. Jedenfalls drohen die Maschinen nun das menschliche Verhalten maßgebend und dauerhaft zu beeinflussen oder zu verändern. Ein Beispiel, um das zu veranschaulichen: Jeder Übersetzer ist davon überzeugt, dass keine Maschine ihn je ersetzen könne. Das stimmt nicht ganz. Natürlich wird nie eine Maschine Shakespeare, Baudelaire oder Kleist in eine andere Sprache übersetzen, ohne stellenweise ein Kauderwelsch von unsäglicher Komik zu erzeugen. Aber nehmen wir einmal an, dass ein Text produziert werden soll, der im vornherein dafür bestimmt ist, von einer Maschine in eine beliebige andere Sprache übersetzt zu werden. Während der Redaktion wird der Verfasser mit einer Maschine in Verbindung stehen, die bei jeder Unklarheit oder Schwierigkeit interveniert. Man nehme zum Beispiel das deutsche Wort „aufheben“, das die Maschine übersetzen soll. Angenommen, sie habe folgende Äquivalente gespeichert: auflesen, aufbewahren, beseitigen, abschaffen. Die Maschine wird also fragen: „Meinen Sie auflesen, aufbewahren, beseitigen, oder abschaffen“? Der Verfasser wird wählen und durch diese Wahl jede Doppelsinnigkeit in seinem Text ausmerzen müssen. So gewinnt die Maschine Einfluss auf die Textgestaltung und rückwirkend auf das weitere Verhalten des Verfassers. Wichtig ist in diesem Fall der Imperativ der Kommunizierbarkeit im Rahmen einer globalisierten Welt, die so etwas wie Übersetzungsmaschinen wünschenswert erscheinen lässt. Bei Bildern, die keiner Übersetzung bedürfen, um allen (außer vielleicht Blinden) zugänglich zu sein, gibt es andere Auflagen, die Einfluss auf die visuelle Produktion und das Verhalten der Autoren haben. Schon eine herkömmliche Kamera beeinflusst die Bildproduktion und beeinträchtigt zunehmend das Verhalten der Akteure. Hinzu kommt nun die Absicht der Bilder, d.h. die dadurch erhoffte weltweite Kommunikation und der Einfluss, der auf das Verhalten der Empfänger ausgeübt werden soll. Auch haben Bilder, die Waren oder Leistungen darstellen, durchaus den Anspruch, das Verhalten der Rezipienten zu beeinflussen oder zu verändern. Und dafür stehen den Autoren alle möglichen technischen Raffinessen zur Verfügung, die es ihnen ermöglichen, ihre Bilder zu gestalten und beispielsweise neue Bedürfnisse virtuell in Szene zu setzen, um das Verhalten so genannter Verbraucher zu beeinflussen. Nun hat aber auch hier die Maschine bestimmte Auflagen, die von den Autoren berücksichtigt werden müssen und rückwirkend ihre Arbeitsweise bestimmen. Das ist jedoch nur die eine Seite des Problems. Wenn Text- und Bildproduktion dazu bestimmt sind, das weltweite Kommunikationsnetz zu integrieren, ist die Vermittlung der Maschine unumgänglich, wobei Sender wie Empfänger den Auflagen des weltweiten Netzwerkes (WWW) folgen müssen. Dabei ist zu beachten, dass dieses Netzwerk schon eine gewisse Autonomie erreicht hat. Folglich kann man sagen, dass die westlich-moderne Menschheit sich schon teilweise in den Klauen der Kommunikations-Maschinen befindet. Weiterlesen

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Der Tag nach der Wahl (2002)

Heute steht Le Pen auf der vorderen Szene, einäugig im Rampenlicht, redet siebzehnprozentig auf diejenigen Wähler ein, die er für die zweite Runde umstimmen kann, ohne seine eingestammte Sippe zu vergraulen. Wir Deutschen hier in Paris sind dabei nicht ganz unschuldig. Auch wir sehen die Szene durch ein Glasauge, jenes des Trommlers, das wie eine Linse in die Gehirne unserer Vorfahren gebrannt wurde: seltsame Bahnungen…

Es ist, als ob die Situation der Weimarer Republik hier noch einmal als Boulevard-Komödie aufgeführt würde.

Jacques Chirac hatte das souveräne Gesicht eines Taschenspielers, als er, irgendwelcher Gaunerei bezichtigt, „abracadabradantesque…!“ sagte. Diese Formel hatte er sich aus dem Ärmel geschüttelt, wie ein vergammeltes As, vor einer adretten französischen Fernsehdame. Das ist noch nicht lange her. Nun steht er am Pult und gebietet als einsamer Sieger der laufenden Präsidentschaftswahlen über Verfall und Abfall der Französischen Republik. Auf der schattigen Seite des Ringes sitzt der Mann des „tail“, im trüben Licht einer Schlachthof-Folterszene, und lacht dazu wie ein dreckiger Köter, der einem im Mondschein begegnen kann. Er ist ein altväterlicher Kläffer, der die Interpunktion von an Geschlecht und Zunge befestigten Elektroden zu schätzen weiß, wenn er seine Fragen stellt und die Arme mit geballten Fäusten schräg gen Himmel streckt. Weiterlesen

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